Rückblick: zum ersten Mal beim AK-Wildlife – Kieran Thomas (25 Jahre 25 Geschichten)

Kieran

Klirrendes Zugscheppern und dann Stille. Sicheres Zeichen dafür, dem Städtewahn entkommen zu sein. Angekommen bin ich, und fühle mich auch so. Auch wenn ich nur ansatzweise weiß, wo ich mich befinde – irgendwo in Hessen.

Ich weiß, ich muss noch etwas weiter nach Nordosten an den Rand von Pfaffenwiesbach. Wo ist Nordosten? Die Dorfkarte am Bahnsteig ist ein Mysterium für mich. Also an der guten alten Sonne orientieren. Gerade lichten sich die Wolken und das Zenit der Helligkeit wird erkennbar. Es ist nachmittags, also müsste die Sonne ungefähr im Südwesten stehen. Also nehme ich einfach mal die entgegengesetzte Richtung. Nach einigen Minuten hab ich schon den Ortskern der Bahnhofstadt passiert. Ich rufe mal den Menschen an, der mich auf die Idee brachte, etwas mehr Wiesen und Wälder gegen Asphalt und Lärmgewalt einzutauschen: Pusteblumen-Anna von der NAJU. Sie ist quasi schon unterwegs in die gleiche Richtung. In einem Auto vollgepackt mit den nötigsten Grundnahrungsmitteln – inklusive etwas Schokolade. Es geht zwar raus aus der Zivilisation aber ja nicht in die Wüste.

Ich laufe zu einer hügeligen Wiese. Vor mir zieht sich ein Stück das Tal hin, von wo zwei junge Mädchen mit einem bärenartigen Hund zu mir laufen. Sie kommen geradewegs auf mich zu, die Kleinere sagt freundlich “Hallo” und ich sage “Hallo” zurück und sie fragt dann: “Was machen Sie hier?”

Ich schaue auf mich selber und meine Sachen, also meinen vollgepackten Campingrucksack mit Isomatte und baumelnden Zweitschuhen, und denke, ich sehe bestimmt ziemlich gestrandet aus – aber eben voll ausgestattet.

“Ihr könnt ruhig du zu mir sagen!”, antworte ich erstmal. Beide lachen etwas schüchtern, aber die Distanz ist genommen. Ich erkläre ihnen dann weiter: “Ich hab mich hier hingesetzt, weil ich den Ausblick sehr schön finde. Und weil ich bald von einer Freundin abgeholt werde…” Sie nicken ein, zweimal und ich setzte fort. “…um mit ihr und ein paar mehr Leuten über die Arbeit der Naturschutzjugend zu sprechen.”

“Ah okay, die kennen wir auch!”, summen die zwei Mädchen synchron zurück.

“Findet ihr es hier auch schön?”, frage ich sie noch.

Sie schauen sich erstmal um, wie um sich ihrer Meinung zu erinnern.

“Ja, ist sehr schön hier. Ich mag die Hügel vom Taunus und die Fichten darauf!”, antwortet die Größere.

Stimmt – ich bin hier im Taunus. Besonders muss ich lächeln über das Detail, dass das Mädchen “Fichten” anstatt “Bäume” gesagt hat. Naturverbundenheit ist ja ein in ländlichen Gebieten weiter verbreitetes Phänomen als in der Stadt. Ich musste das auch erst nachträglich lernen in meiner Jugend.

Aber für sowas, hat man mir gesagt, sei zum Beispiel die Naturschutzjugend da. Für Fahrten und Aktionen in Lebensräumen, die nicht der Struktur von Straßen und Mauern folgen. Urwälder gibt es zwar kaum mehr in Deutschland, aber in jedem Umfeld, in dem das Grüne überwiegt, übernimmt die Natur wieder im Blattumdrehen die Kontrolle über Wachstum und Vielfalt.

Die zwei Mädchen verabschieden sich freundlich von mir und kurz darauf hält ein Auto in meiner Nähe. Pusteblumen-Anna mit brandneuer Zahnspange und altbekannten Wanderklamotten steigt aus und umarmt mich. Wir fahren eine hügelige Straße ein paar Kilometer entlang und halten bald an einem Waldrand, wo uns ebenfalls die Taunusakzente anlächeln.

Wir fangen schon einmal an, das Camp einzurichten und bekommen auch schon bald Unterstützung von Menschen, die sich erstmal hinter Bäumen verstecken.

Wie ein eingeübtes Schauspiel ist dieses Wiedersehen zwischen Anna und den anderen Vorständlern der NAJU Hessen. Spielerisch trifft man sich hier um darüber zu sprechen, wie man das Spielfeld Natur den Leuten und vor allem der Jugend näher bringen kann.

Ich werde herzlich begrüßt von den Menschen, die mich ja noch gar nicht kennen und wir errichten aus Planen und improvisierten Knoten das Tarb zum Schlafen – im Freien…ausgesetzt nur den Eulenrufen und dem Blätterflüstern. Der Waldkauz, schnell identifiziert von unserem Vogelexperten in der Runde, fängt bald schon an zu rufen. Es dämmert, also sammeln wir schon mal Holz und basteln spontan ein Dreibein zum Kochen.

Anna kümmert sich um das leibliche Wohl. Es gibt Curry im Feuerschein und es wird geredet über alte Zeiten…

…Weißt du noch als wir uns kennenlernten, bei den Mückenschwärmen auf der Wildnistour in Lappland…oder damals in Rumänien, als wir gemeinsam gesungen haben…

Mit gefüllten Bäuchen lassen wir uns bald in unsere Schlafsäcke sinken. Thermoschlafsäcke, sogar für Temperaturen um den Gefrierpunkt. Sowas versteht sich für Wildniserprobte. Sogar für mich, der ich noch ziemlich neu in diesem Business ohne Business bin. Meine Essensschüssel hab ich trotzdem vergessen. Aber natürlich wurde vorsorglich an ein paar Schüsseln mehr gedacht. Man kümmert sich hier wohl ziemlich gut umeinander.

Erwachen in der Morgensonne, die durch die Bäume bis auf unsere kleine Lichtung scheint. Etwas kühl ist es draußen schon noch – oder eher noch so schön warm in den Schlafsäcken und man quatscht erstmal noch ein bisschen.

Erste Aktion danach mal wieder: Feuer machen! Danach spülen, Essen machen, essen. Kaffee gibts sogar, der am offenen Feuer zwar etwas länger braucht, aber für den ein oder anderen ein (beinah) unverzichtbares Morgenritual darstellt.

Vogelzwitschern. Amseln, Rotkehlchen und zwei, drei Meisen werden festgestellt. Ein Konzert als Morgenritual der Natur. Es ist Frühling und das merkt man gerad besonders.

Auf dem Tagesplan stehen Aktionen, wie man sie sich auch mit Jugendgruppen vorstellen kann. Holzhütten bauen und Feuer machen ohne Feuerzeug – aber mit Feuerzeug aus der Natur halt: Feuersteine, Magnesiumstäbe und Flohsamen als erste Zünder. Die Erfindungen des Menschen sind nicht immer zuverlässig. Ein Feuerzeug verliert schnell mal den Kopf oder den Treibstoff. Und auch der Inhalt einer Streichholzschachtel ist ja begrenzt. Wir sammeln dann noch Birkenrinde und trockenes Gras und nach etwas Hilfe von unserem Feuerexperten in der Runde haben wir bald jeder für sich ein Feuer entfacht.

Mit einer der Flammen wird dann ein Abendessen gezaubert, wie es in seinem Aufwand eigentlich unüblich ist, mitten im Wald zuzubereiten. Aber es scheint eine der traditionellen NAJU-Mahlzeiten zu sein. Ich kannte den Namen vorher nicht mal: Bannock.

Eine gute halbe Stunde wird Teig gebraten und dann gegessen. Ein bisschen Musik wird noch im Feuerschein gemacht, größtenteils mit den eigenen Stimmen. Danach spielen wir noch im Dunklen Verstecken, was wahrscheinlich die gefährlichste Aktivität des ganzen Wochenendes war. Im Gestrüpp verheddere ich mich und falle ins gesammelte Feuerholz, wo ich dann halt ein gutes Versteck finde. Unser Vogelexperte zeichnet sich dann aber ebenfalls als gekonnter Menschenfinder aus. Im späten Feuerschein gähnen wir gemeinsam noch eine Weile und quatschen dann doch noch immer ein paar Momente länger, bis es wieder in die Schlafsäcke geht.

Diese Nacht habe ich eine dicke Wurzel im Rücken, will aber meinen beiden Nebenmenschen nicht den Platz rauben. Bald finde ich eine schiefe Schlafposition unter dem im Wind schnatternden Tarb, die mich dann doch in eine Traumwelt aus Eulenrufen und Waldrufen eintreten lässt.

Der letzte Morgen dieses Wochenendes begann recht schleppend. Drei Menschen rafften sich auf und die restlichen vier blieben erstmal noch liegen. Standardaktivitäten wie Feuer machen und spülen werden ungefragt aufgeteilt und nach einer Stunde sitzt man verschlafen beisammen, wobei die Stille nicht unangenehm, sondern einvernehmlich ist.

Nach dem Frühstück wird noch über die zwei kommenden Gruppenfahrten in die Wildnis geredet. Dafür kommt extra Vera aus der Geschäftsstelle vorbei und bringt etwas mehr Struktur herein. Besonders die Tour nach Schottland erregt viel Interesse – auch bei mir -, aber auch etwas Unsicherheit, weil unerklärlicherweise dieses Jahr das Teilnehmerinteresse etwas geringer als geplant bisher blieb. Vielleicht bedarf es noch ein wenig mehr mündlicher Propaganda, denken wir und nehmen uns vor, unseren Bekanntenkreis an Naturinteressierten noch einmal ausführlich durchzugehen.

Wir verabschieden uns im Sonnenschein ohne viele Worte. Das Wiedersehen ist unselbstverständlich selbstverständlich auf eine nahe Zukunft angesetzt.

 

Über den Autor

Kieran Thomas ist 23 Jahre alt und vom Niederrhein. Er wohnt seit vier Jahren in Berlin, studiert Deutsch und Sport auf Lehramt und ist gerne viel auf Reisen – durch die NAJU, die ihn schnell begeistert hat, jetzt auch immer wieder ins schöne, hügelige Hessen. Er ist jetzt ganz frisch im Wildlife-Bereich tätig, macht gerne Fotos und schreibt allerlei Texte.

25 Jahre 25 Geschichten

Seit der Gründung der NAJU Hessen haben viele Personen die NAJU geprägt. In den letzten 25 Jahren entstanden unendliche viele Erinnerungen, traurige und lustige Szenarien. Im Zuge des Jubiläums stellen wir 25 Geschichten aus den letzten 25 Jahren vor.

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