Ausschnitte aus meiner NAJU Erfahrung – Katharina Clauss (25 Jahre 25 Geschichten)

Katharina erzählt im Folgenden drei Geschichten aus ihrer Zeit bei der NAJU Hessen.

1

Ich kann nicht mehr. Der letzte Aufstieg hat mich trotz vereinzelter Blaubeeren meiner Kräfte beraubt. Keuchend krabbele ich die letzten Meter zu der Anhöhe hoch, der Rucksack auf meinem Rücken scheint Tonnen zu wiegen. Neben, vor und hinter mir schleppt sich der Rest meiner Gruppe, genauso fertig wie ich, weiter. Dann sind wir oben angekommen. Frischer Wind kühlt mein Gesicht, ich lasse mich einfach fallen. In dem Moment bin ich überzeugt, nie wieder einen Schritt gehen zu können. Plötzlich gibt jemand neben mir einen Laut des Erstaunens von sich. Umständlich drehe ich mich um und kann plötzlich sehen, wo wir hergekommen sind. Wir sind auf einer Anhöhe an der Flanke eines Berges. Unter uns liegt ein gigantisches Tal, voller Seen, nur am Horizont von Bergen eingerahmt. Die Abendsonne steht wie ein rötlich glühender Ball direkt über ihnen, fängt schon an zu versinken. Ich rieche den Geruch nach Gras, Erde und meinen Füßen, während ich und der Rest meiner Gruppe gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommen: Die Sonne taucht das Tal vor uns in warmes, organgenes Licht, jeder einzelne der hunderten Seen leuchtet mit der Sonne um die Wette. Minutenlang bewegt sich keiner, alle sind viel zu erschöpft und zu gefesselt von diesem atemberaubenden Anblick der untergehenden Sonne, der Seen, der weiten Landschaft. Der Fluss, aus dem ich heute Mittag noch getrunken habe, glitzert wie ein Silberband unter uns. Und auf einmal bin ich mir sicher, das Doppelte, ja, das Dreifache gehen zu können, nur, um wieder so einen wunderschönen Ausblick zu haben, wie gerade.

 

2

Es ist kühl. Friedlich liegt der morgendliche Wald da. Nichts rührt sich. Auch nicht in dem Gebilde aus Tarpplanen, das zwischen ein paar hohen Buchen steht. Zehn Schlafsackraupen liegen träge da, schön eingemummelt in ihrem warmen Kokon. … Plötzlich wird es am anderen Ende des Tarps unruhig. Zwei Schlafsackraupen richten sich drohend auf und verknäulen sich dann ineinander. Lachen, dumpfe „He!“ Rufe und Gerutschte ist zu hören. Im nächsten Moment knäult sich das ganze Zelt, alle werfen sich übereinander, rollen sich hin und her, versuchen möglichst viele unter sich zu begraben. Eine wilde Schlacht der Schlafsackraupen ist ausgebrochen! Nach ein paar Minuten wildem Gerangel krabbeln überall Leute aus den Schlafsäcken. Da drinnen ist es einfach viel zu heiß und die Luft draußen ist so angenehm kühl. Immer noch lachend und rempelnd versammeln sich alle zum Frühstück. Und die Stimmung wird gleich noch eine Ecke besser: Es gibt Schokomüsli! Sofort sind alle wilden Schlafsackraupen besänftigt und man hört nur noch einstimmiges Gekaue.

 

3

Es gibt zu wenig zu essen. Mehrere müssen sich einen Löffel teilen, Isomatten werden knapp. Es wurde vorgeschlagen einen Schlafsack der Teamer zu verhökern. Der Vorschlag wurde seitens der beiden Teamer einstimmig abgelehnt. Es wurde vorgeschlagen produktiv zu werden, Schalen oder Löffel auszubrennen, Grasisomatten zu machen. Der Vorschlag wurde seitens der Teilis recht einstimmig abgelehnt. Lieber wird faul herumgelegen, gelesen, durch den Wald gestreunt oder mit Stöcken gekämpft. Gegen Samstagnachmittag wird eine Krisensitzung einberufen. Das Abendessen steht vor der Tür, doch das dafür benötigte Essen muss noch beim Hüter des Essens eingetauscht werden. Gegen eigene Essschälchen, Löffel oder Isomatten, die mittlerweile eigentlich durch selbstgemachte ersetzt werden sollten. Nur, dass das niemand gemacht hat. Was soll den Eltern erzählt werden? Zehn Leute auf Waldinsel aus Faulheitsgründen verhungert? Quatsch! Wir brauchen einen Plan! Es wird ein raffiniertes Ablenkmanöver gestartet: Nur in Unterhose, mit Lehm bemalt und mit einer Farn- und Laubkrone geschmückt, rennt der spontan erkorene Anführer los, die ganze Gruppe laut brüllend hinter ihm. Nur Augenblicke später bricht die wilde Horde aus den Büschen und fällt über das Essenslager her. Der Hüter des Essens kann sich nicht erwehren, dafür ist er zu überwältigt von dem verrückten Aussehen des Anführers und dem markerschütternden Geschrei der restlichen Gruppe. Der Überfall dauert nur Sekunden, dann tritt die Horde mit dem erbeuteten Abendessen wieder den Rückzug an. Das erbeutete Mal wird am prasselnden Feuer gekocht und in Siegerstimmung verschlungen. Doch fürs kommende Frühstück am Sonntag müsste ja noch was hergestellt werden … oder man rückt einfach noch etwas enger zusammen und spendiert eine weitere Isomatte.

 

 

Über die Autorin

Katharina Clauss ist Ehrenamtliche der NAJU Hessen und vor allem im Arbeitskreis „Wildlife“ aktiv.

25 Jahre 25 Geschichten

Seit der Gründung der NAJU Hessen haben viele Personen die NAJU geprägt. In den letzten 25 Jahren entstanden unendliche viele Erinnerungen, traurige und lustige Szenarien. Im Zuge des Jubiläums stellen wir 25 Geschichten aus den letzten 25 Jahren vor.